Klimaökonomin und Wissenschaftlerin des Jahres 2024, Univ. Prof. Dr. Mag. Sigrid Stagl erklärt, weshalb es teurer ist, nichts zu tun und wie Transformation wirtschaftlich sinnvoll gelingt.
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„Uns fehlen vor allem die Bilder, die eine neue Zukunft zeichnen“, sagt Klimaökonomin und österreichische Wissenschaftlerin des Jahres 2024 Univ. Prof. Dr.in Sigrid Stagl, im Interview am Impact Lech Symposium 2025. Wir betreiben zum einen Vogel-Strauß-Politik, indem viele versuchen, sich den Folgen des Klimawandels zu verschließen. Zum anderen fehlt es aber auch an den attraktiven Bildern in den Köpfen der Menschen, die eine Version der Zukunft zeichnen, die erstrebenswert ist. Derzeit liegt der Diskussionsfokus vermehrt auf den Investitionskosten für den Klimaschutz. Doch nicht investieren ist noch viel teurer, belegt die Wissenschaftlerin.
Interview von Julia Weinzettl
Warum halten sich so viele Unternehmen an kurzfristigen Investitionskosten fest, obwohl Nichtstun beim Klimaschutz langfristig deutlich teurer ist?
Univ. Prof. Dr.in Sigrid Stagl: Wir reden immer über die Kosten der Klimatransition und vergessen dabei aber die Kosten des Nichthandelns oder die Klimafolgekosten. Das heißt also, wenn wir z. B. mehr Extremwetterereignisse haben, dann wird es noch häufigere Überschwemmungen geben. Es werden Infrastruktur, Betriebsstätten und Wohnhäuser zerstört, die wieder aufgebaut werden müssen. Bauern müssen unter anderem ihre Fruchtfolge verändern, Obstbauern ihre Obstbäume ausreißen oder neue pflanzen usw. Das kann man schon machen. Wir können uns anpassen, aber je öfter wir das machen müssen, desto öfter haben wir unproduktive Phasen und das kostet. In der heutigen Diskussion sprechen wir über die Kosten des Umstellens. Wir reden aber nicht über die Kosten, die auf uns zukommen, wenn wir nicht umstellen. Das ist ein Kategorienfehler.
Wenn das so klar ist, warum wird nicht gehandelt?
Univ. Prof. Dr.in Sigrid Stagl: Weil es Gewinner und Verlierer gibt. Weil diejenigen, die derzeit sehr energieintensiv produzieren, also viel fossile Energie verwenden, von den Umstellungsmaßnahmen, wie der CO₂-Bepreisung heute schon stark betroffen sind. Das ist auch das Ziel der Maßnahmen. Es wird das Signal gesendet: Bitte nicht so weiter produzieren wie bisher, sondern etwas umstellen. Dazu braucht es ökonomische Anreize. Branchen, die negativ betroffen sind, verstärken ihr Lobbying bei den Entscheidungsträgern und wünschen sich, dass diese Umstellung verzögert wird, weil sie Umstellungskosten verursacht, doch billiger wird es nicht. Im Gegenteil, das Verzögern bedeutet kurzfristiges Einsparen, während weiter hinten auf der Zeitachse die noch höheren Investitionskosten schon warten. In einer idealen Welt würde man gleichzeitig global das regulatorische Umfeld, z. B. für die Stahl- und Aluminiumindustrie, für die Glas- und Zementherstellung sowie für große Chemiekonzerne in der Kunststoff- oder Düngemittelproduktion, ändern. Wir haben aber keine Weltregierung und wollen vermutlich auch keine haben. Also müssen wir unser Tun demokratisch abstimmen. Daher benötigen wir Entscheidungsträgeri:nnen, die Möglichkeitsräume, schaffen und nutzen.
Warum ist es so schwierig, klare Bilder von einer klimaneutralen Zukunft zu entwickeln?
Univ. Prof. Dr.in Sigrid Stagl: Wenn wir gedanklich die Augen schließen und fragen: Wie sieht unser Zukunftsbild aus? Stellen wir fest: wir haben gar keine Bilder. Das ist ein echtes Problem. Denn das Fehlen der Vision legt den Fokus einzig auf die Kosten anstatt auf die Perspektive einer erstrebenswerten Zukunft. Wie stark diese Bilder aber sein können, erleben wir regelmäßig in Workshops mit Stakeholdern und Bürger:innen. Wenn wir Menschen einladen, in Gruppen zu überlegen, wie wir uns in einer klimaneutralen Gesellschaft fortbewegen, wohnen oder ernähren, entstehen spannende Ideen. Es zeigt sich schnell, wie kreativ und lösungsorientiert Menschen sind, sobald sie den Raum und die Mittel bekommen, sich aktiv einzubringen.
Was ist dabei der entscheidende Erfolgsfaktor und welche Rolle spielt hier die Wissenschaft?
Univ. Prof. Dr.in Sigrid Stagl: Der Schlüssel ist, dass die Teilnehmenden im „Driver’s Seat“ sitzen. Sie stellen die Fragen, wir unterstützen sie mit passenden wissenschaftlichen Methoden, liefern Expertise und strukturieren den Prozess, aber ohne zu dominieren. Es geht nicht um Vorträge oder fertige Antworten, sondern um eine echte partizipative Zusammenarbeit. In einer Demokratie ist es essenziell, dass die Zukunft nicht von Expert:innen „verordnet“, sondern gemeinsam gestaltet wird. Wir helfen, die Visionen mit ökonomischen Modellen zu verknüpfen und mithilfe von Algorithmen zu bewerten, welche Variante nach den gemeinsam definierten Nachhaltigkeitskriterien am besten abschneidet.
Was passiert, wenn die wünschenswerte Zukunft erst einmal definiert ist?
Univ. Prof. Dr.in Sigrid Stagl: Dann beginnt die eigentliche Arbeit: Wir überlegen gemeinsam, wie wir dorthin gelangen. Welche Schritte braucht es heute, nächste Woche, im nächsten Jahr, bis 2040? Das macht Zukunft greifbar. Die Menschen sehen: Das ist keine Utopie, sondern ein realistisches Ziel, an dessen Umsetzung sie selbst mitwirken können. Diese Klarheit und Beteiligung sind entscheidend, wenn die Transformation gelingen soll.
Wie bewerten Sie die Rolle der Kreislaufwirtschaft in der österreichischen Wirtschaft im Kontext der Nachhaltigkeit?
Univ. Prof. Dr.in Sigrid Stagl: In Österreich ist die Exportwirtschaft enorm wichtig, rund 80 % unserer Produktion gehen in den Export. Wenn wir in einzelnen Bereichen emissionsintensive Produktionsweisen abschalten müssten, bleiben immer noch 75 bis 80 % bestehen. Das zeigt, wie stark der Anreiz ist, in Richtung Kreislaufwirtschaft zu denken. Es braucht aktives Handeln, von selbst geschieht es nicht. Die EU-Kommission arbeitet hier bereits intensiv daran. Aus meiner Sicht ist die Kreislaufwirtschaft das Rückgrat einer nachhaltigen Produktionsweise. Ohne sie wird uns Klimaschutz nicht gelingen, genauso wenig wie der Schutz der Biodiversität oder das Einhalten anderer planetarer Grenzen.
Was macht die Kreislaufwirtschaft gegenüber anderen Nachhaltigkeitsstrategien vergleichsweise „einfacher“ umzusetzen?
Univ. Prof. Dr.in Sigrid Stagl: So schwer es auch klingen mag, die Kreislaufwirtschaft ist im Vergleich zu anderen Herausforderungen noch der „einfachste“ Hebel. Denn hier gibt es echte Kosteneinsparungspotenziale. Beim Klimaschutz hingegen sind Investitionen in grüne Technologien häufig mit Zusatzkosten verbunden. Erst wenn wir vollständig auf erneuerbare Energien umgestellt haben und die Netzinfrastruktur entsprechend ausgebaut ist, wird sich die Lage entspannen. Aber wir haben die Technologien bereits, und wenn wir es schaffen, die Beschäftigungseffekte in Österreich zu halten, entsteht daraus zumindest ein „economic case“, wenn auch bislang nicht in jedem Fall ein klassischer Business-Case.
Wo liegen Ihrer Meinung nach die größten Herausforderungen im Bereich Biodiversitätsschutz?
Univ. Prof. Dr.in Sigrid Stagl: Beim Thema Biodiversität stehen wir vor noch viel größeren Herausforderungen. Hier geht es nicht nur um technische Umstellungen, sondern oft um vollkommen neue Produktionsweisen. Es reicht nicht, bestehende Prozesse zu optimieren, wir müssen unsere Art zu wirtschaften und das Befriedigen unserer Bedürfnisse grundlegend neu denken. Das erfordert neue Wege und ein radikales Umdenken im Wirtschaftssystem.
Sie haben einen umfassenden Werkzeugkoffer erstellt, der Überlegungen und Tools zur Verfügung stellt, um Transformation Struktur zu geben, wie greifen die einzelnen Elemente ineinander?
Univ. Prof. Dr.in Sigrid Stagl: Die nachhaltige Transformation unserer Wirtschaft erfordert ein breites Set an Maßnahmen, ich nenne es „ökonomischen Werkzeugkoffer“. An erster Stelle steht dabei die Förderung grüner Technologien, also Innovationen, die helfen, Ressourcen zu schonen und Emissionen zu senken. Doch technologische Lösungen allein genügen nicht. Daher ist Punkt 2 grüne Präferenzen. Veränderte Konsum- und Produktionsentscheidungen von Individuen und Unternehmen sind notwendig, um nachhaltiges Verhalten zur Norm zu machen. Ein zentraler Hebel in dem Werkzeugkoffer ist die Korrektur der relativen Preise: Wenn umweltschädliches Verhalten zu günstig bleibt, lohnt sich der Umstieg auf nachhaltige Alternativen nicht. Flankierend dazu braucht es klare Strukturen. Dazu zählen gesetzliche Rahmenbedingungen wie Standards, Labels oder gezielte Verbote ebenso wie Investitionen in Infrastruktur und der Aufbau sozialer Strukturen, die Wandel ermöglichen. Gleichzeitig ist eine Koordination der gesamten Regierung entscheidend, Klimaschutz darf nicht allein dem Umweltressort überlassen werden, sondern muss ressortübergreifend gedacht und umgesetzt werden. Damit der Wandel auch gesellschaftlich getragen wird, braucht es Freiheit und Sicherheit für die Menschen sowie echte Partizipation an der Gestaltung der Transformation. Wer Veränderungen mitübernimmt, muss sich auch einbringen können. Nicht zuletzt gilt es, den Fokus auf die tatsächlichen Bedürfnisse der Menschen zu richten: Statt Konsum und Wachstum als Selbstzweck zu betrachten, sollten wir fragen, was Menschen wirklich für ein gutes Leben brauchen und wie wir das ökologisch verträglich gestalten können.
Eine große Stellschraube ist die „Korrektur der relativen Preise“ ein Begriff, der für viele eher technisch klingt?
Univ. Prof. Dr.in Sigrid Stagl: Ja, das klingt auf den ersten Blick abstrakt, ist aber ganz grundlegend: Die Produktionsentscheidungen in Unternehmen hängen stark davon ab, wie teuer bestimmte Faktoren sind. Wenn Arbeit sehr teuer ist, wird versucht, sie durch Maschinen zu ersetzen, dann entwickeln wir etwa arbeitssparende Technologien. Ich finde es immer wieder erstaunlich, wie offensichtlich das ist: Z.B. stehen in Ländern mit sehr niedrigen Löhnen oft Menschen an Flughäfen und leiten die Fluggäste mit den Worten: „This way“ weiter. In Österreich, wo Arbeitskraft teuer ist, würde man dafür ein Schild aufstellen. Das zeigt, wie stark der Preis bestimmt, wie wir Ressourcen und Arbeit einsetzen.
Im Sinne der Nachhaltigkeit heißt das: Wir sollten Ressourcen verteuern, um ihren sparsamen Einsatz zu fördern und gleichzeitig darauf achten, dass Arbeit nicht übermäßig belastet wird. Daher wird mit der „Korrektur der relativen Preise“ ein zentrales wirtschaftliches Steuerungsinstrument für ökologische Transformation verwendet.
Eine weitere große Rolle spielt dabei Partizipation der Bevölkerung an dieser Transformation? Warum ist das so wichtig?
Univ. Prof. Dr.in Sigrid Stagl: Punkt 6 des Werkzeugkoffers betont Freiheit, Sicherheit und Partizipation. Wenn wir wollen, dass Menschen mitgehen und die Entscheidungen der Politik mittragen, müssen sie verstehen, warum Veränderungen notwendig sind und auch selbst mitgestalten können. Transformation darf nicht als Bedrohung empfunden werden, sondern muss als Chance erlebt werden. Deshalb ist es so wichtig, dass wir klare Zukunftsbilder entwickeln, auf Bedürfnisse fokussieren und Menschen dort abholen, wo sie stehen. Nur dann kann diese umfassende Veränderung gelingen, wirtschaftlich, ökologisch und sozial.
Welche Jobs werden wir in Zukunft brauchen, die heute noch keinen Namen haben?
Univ. Prof. Dr.in Sigrid Stagl: Wir werden Menschen brauchen, die systemisch denken können und gleichzeitig die Fähigkeit haben, unterschiedliche Perspektiven zusammenzubringen. Das heißt: Prozesskompetenz, Moderationsfähigkeit und die Kunst, tragfähige Kompromisse in komplexen Situationen zu gestalten. Solche Rollen gibt es punktuell schon, etwa in Form von Transformationsberater:innen, aber künftig wird diese Kompetenz in vielen Organisationen essenziell sein. Denn oft bleiben wir in Abteilungs- oder Bereichslogiken gefangen. Ohne jemanden, der bewusst den Raum für gemeinsames systemisches Denken schafft, lassen wir viele Verbesserungspotenziale liegen. Diese neuen Rollen können helfen, nachhaltige Lösungen zu entwickeln, effizienter zu werden und gesellschaftliche Herausforderungen aktiv anzugehen.
About:
Sigrid Stagl forscht seit über 25 Jahren im Bereich ökologische Ökonomie und Nachhaltigkeit, vorrangig in den Themenbereichen Energie/Klima bzw. Landwirtschaft/Ernährung. Im Alter von 29 Jahren erhielt sie den weltweit ersten PhD im Fach Ecological Economics. 2014 gründete sie das Institute for Ecological Economics an ihrer Alma Mater, der WU. Seit 2019 leitet sie zudem das WU Competence Center for Sustainability Transformation and Responsibility (STaR). 2024 wurde sie als Österreichische Wissenschaftlerin des Jahres vom Klub der Bildungs- und Wissenschaftsjournalist:innen ausgezeichnet.
Das Interview entstand am Impact Lech Symposium von Dr. Markus Hengstschläger.
Spannende Gespräche in einer inspirierenden Umgebung.