‘Wenn Du die Welt verändern willst, beginne bei den Mustern in Deinem Kopf.’
Dieses Statement kam von Ernst Weichselbaum, preisgekröntem Berater, Visionär und Philosoph auf einer Transformation Journey in Marokko. ‘Bestehendes optimieren reicht nicht,’ sagt Weichselbaum auf die Frage nach den Grundlagen zu seinen Überlegungen. Unternehmenserfolg stellt sich mittlerweile nicht mehr einfach ein, wenn man Verbesserungen vornimmt. Systemüberwindung heißt das Zauberwort, das Ernst Weichselbaum propagiert. Seine Erfolge geben ihm recht.
Interview von Julia Weinzettl

Foto: Lean knowledge base
Du hast einen komplett anderen Ansatz in der Beratung von Unternehmen.
Ernst Weichselbaum: Die meisten Organisationsprojekte optimieren das Bisherige und geben durchaus professionelle Antworten auf die Frage: ‘Geht es nicht besser?’. Mein Ansatz geht einen Schritt weiter und stellt die Frage: ‘Geht es anders nicht viel besser?’. Diese Frage mobilisiert auch ungewöhnliche, bisher unentdeckte Potenziale eines Unternehmens.
Kannst Du ein praktisches Beispiel nennen?
Ernst Weichselbaum: Für viele Fachleute ist es zunächst verblüffend, dass man mithilfe von Lohnerhöhungen die Lohnstückkosten senken kann.
Wie geht das genau?
Ernst Weichselbaum: Man überwindet zunächst die Idee, dass Unternehmer und Mitarbeiter naturgemäß entgegengesetzte Interessen haben müssen. Man lässt die Angestellten in ihrem jeweiligen Verantwortungsbereich auch ihr Unternehmertum ausleben und teilt den so erzeugten Produktivitätsfortschritt zwischen Unternehmer und Angestellten.
Wie kann man sich das vorstellen?
Ernst Weichselbaum: ‘Unternehmen’ ist ein scheinbar klarer Begriff. Die meisten Menschen verstehen darunter den Inhalt von Besitzgrenzen, wie er über Bilanzen und an den Börsen dargestellt wird. Man kann aber genauso denken, dass ein Unternehmen all das ist, was sich bewegt, wenn ein Kunde einen Auftrag unterschreibt. Die eine Sichtweise möchte das Innenleben einer Firma gegen den Rest der Welt optimieren, die andere Sichtweise führt zur Stärkung von Netzwerken, die über die Firmen hinausgehen. Diese Grundhaltung kann mit den gleichen Effekten ebenso nach innen angewendet werden. ‘Internes Outsourcing’ stellt zwischen Abteilungen eine gleichgestellte Beziehung her, hinterfragt Hierarchien und ist die Grundlage der Fraktalen Organisation. Der Unternehmer ist bei ersterem ein Eigentümer, bei zweiterem ein Interaktionspartner an Nahtstellen zur Erzeugung von Nutzen auf beiden Seiten.
Was bedeutet Nahtstelle? Heißt es nicht Schnittstelle?
Ernst Weichselbaum: Nein. Die Nahtstelle ist der primäre Ort von Organisation und eine wechselseitige Verpflichtung mit konkretem Inhalt. Gibt es in der Organisation einen Schnitt, dann bedeutet das einen Nachteil und Reibungsverluste für beide Partner. Stell Dir einen Schneider vor: wenn er nur Schnittstellen hat, fallen die Kleider vom Körper. Der Zwirn, der beide Teile zusammenfügt, ist die Essenz dieser Verbindung. Nahtstellen sind die Synapsen der Wirtschaft.
Das bedeutet aber, dass der Einkäufer, der seine Lieferanten zu immer niedrigeren Preisen zwingt, auf Dauer kontraproduktiv ist?
Ernst Weichselbaum: Das ist völlig richtig, aber auch der, der stets die höchsten Rabatte gibt, zerstört Wirtschaftsstrukturen.
Das klingt gut, trotzdem müssen sich Unternehmen am Markt durchsetzen.
Ernst Weichselbaum: Durchsetzen kann man sich durch Missbrauch, Macht, Lobbying usw., oder durch die Attraktivität des Angebotes an alle Beteiligten. Dabei geht es sowohl um Lieferanten und Kunden als auch um Unternehmer und Belegschaft.
Und wer bezahlt?
Ernst Weichselbaum: Wenn man die Reibungsverluste durch unterschiedliche Werte, Gedanken, Sprachen, Handlungen vermeidet, lassen sich durchaus marktgerechte, faire Einkaufspreise, entsprechende Löhne und Gewinne vereinbaren.
Wo kann man konkret Geld sparen?
Ernst Weichselbaum: Eines meiner, mit dem Constantinus Award prämierten Projekte, „Swinging Production“ zeigt auf, dass das ganze Unternehmen vom Angebot bis zur Faktura inklusive der Lieferanten im Rhythmus der Kunden zu schwingen hat, denn ungleiche Rhythmen erzeugen Reibungsverluste. Beim Mitschwingen werden an vielen Stellen Lager vermieden und weder Material noch Arbeitsstunden vergeudet, nur weil der jeweilige Kunde Änderungswünsche hat.
Gibt es weitere Beispiele?
Ernst Weichselbaum: Ressourcenverschwendung entsteht oft auch dadurch, dass es eine Arbeitsteilung zwischen einem Verantwortlichen und einem Handelnden gibt. Z. B. hält man den Meister für die Qualität der Arbeit seiner Gesellen verantwortlich. Ich meine aber, nur wer das Loch bohrt, kann für die Qualität des Loches verantwortlich sein. Ein Leitsatz lautet somit: ‘Handlungsstrecke und Beeinflussungsstrecke müssen ident sein, sonst kann es keine unmittelbare Verantwortung geben’. Der Geselle hat das Recht, eben durch Mithilfe des Meisters, zu lernen, wie man ein Loch gerade bohrt. So wird der Meister vom Vorgesetzten zum Dienstleister und seine Anstrengung nachhaltiger.
So gesehen gibt es dann tatsächlich niemanden im Unternehmen, der nicht konkret Verantwortung trägt, und die Verantwortung geht somit über den exklusiven Zirkel der Führungskräfte hinaus?
Ernst Weichselbaum: Das war noch nie anders, es wurde nur immer anders gesehen und dargestellt. Wenn man Führungskraft durch Führungsleistung ersetzt, bekommt das Wort eine ganz andere Bedeutung. Es heißt Leistung erbringen und nicht Kraft ausüben. Jeder kann Führungsleistung erbringen. Wenn es in meinem Unternehmen brennt, bin ich sehr froh, wenn die Feuerwehrleute Führungsleistung erbringen.
Wer gibt denn nun den Rhythmus vor, wenn ein Unternehmen mit dem Markt mitschwingt?
Ernst Weichselbaum: Die ganze Welt schwingt. Die Erde um die Sonne im Jahr, der Mond um die Erde im Monat, und die Erde täglich um die eigene Achse. Auch die Wirtschaft schwingt. Jeder kennt Konjunkturzyklen, Saisoneinflüsse und auch die wiederkehrenden Moden. Hausfrauen beim Kochen und die Bauern beim Wirtschaften leben selbstverständlich im Rhythmus des Lebens und argumentieren nicht mit idealen Losgrößen, Rüstzeiten und Economy of Scale.
Die Konstruktivisten Watzlawick, von Förster, von Glasersfeld waren gute Bekannte von Dir. Haben diese Begegnungen Deine Weltsicht beeinflusst?
Ernst Weichselbaum: Natürlich, denn der Mensch ist das Tagebuch seiner Begegnungen. Mit Heinz von Förster und Ernst von Glasersfeld verbindet mich als ‘Heimatvertriebener’ das gleiche Jugendschicksal. Innerhalb kurzer Zeit lebten wir an verschiedenen Orten und lernten die Welt aus verschiedenen Blickwinkeln kennen. Dieses Schicksal verhalf uns neue Perspektiven als etwas Alltägliches zu empfinden. Wenn man die Welt nur aus einer Richtung wahrnimmt, hält man alle anderen Sichtweisen oft für falsch. Die Konsequenz daraus ist, dass jenseits der jeweiligen Grenzen immer die Bösen und Blöden wohnen, was für mich eine gefährliche und unmenschliche Lebensanschauung ist.
Welche Entwicklungen können wir, Deiner Meinung nach, in der Zukunft erwarten?
Ernst Weichselbaum: Ich denke, dass wie die „.com“ Blase, auch die Finanzblase platzen wird. Trotzdem bin ich Optimist und glaube, dass eine lebenswerte Zukunft an vielen Stellen schon begonnen hat. Ich sehe, wie einige Wissenschaftler auch, die Vernetzung aller Systeme als vierte industrielle Revolution. Die Netzwerke in der Familie, am Arbeitsplatz zwischen den Firmen und auch zwischen den europäischen Staaten als Vorreiter, werden unser aller Leben genauso nachhaltig verändern wie die anderen drei industriellen Revolutionen durch Mechanik, Elektrotechnik und den Computer. Die bisherigen drei Revolutionen hatten die Entwicklung von Maschinen und deren Weiterentwicklung als Anlass, die vierte Revolution, die Vernetzung, kümmert sich wieder um den Menschen und erzeugt Begegnungsqualität.
Hast Du eine allgemeine Empfehlung?
Ernst Weichselbaum: Nachzudenken über die ‘Jetztheit’. Alle schwelgen in der Vergangenheit und fliehen in die Zukunft. Doch das ‚Jetzt‘ ist der Augenblick, in dem wir einander alles geben können, was wir einander geben können. Mehr geht nicht. Jede Interaktion ist eine Jetztheit, die die Welt verändert, wenn auch nur bei der 1.000sten Stelle hinter dem Komma. Verantwortung entsteht aus diesem Moment. Wenn man die Jahre rückwärts zu zählen beginnt, schreibt man entweder Memoiren oder man verfasst einen kategorischen Imperativ.
Ich sage: ‘Verhalte Dich so, dass die Summe des Lächelns zunimmt’. Denn beim Lächeln trägt der Mensch die Seele im Gesicht.
About:
Ernst Weichselbaum ist Unternehmer in Waidhofen und Mastermind von Weichselbaum-Consulting, einer Beratungsfirma, die mit ungewöhnlichen Lösungsansätzen für mehr als 100 Kunden sehr erfolgreich tätig ist. Derzeit arbeitet er an einer Akademie zum Entlernen.
Er wurde mehrfach mit dem Constantinus Award, von der österreichischen Wirtschaftskammer verliehen, ausgezeichnet. Weichselbaum beschreitet bei der Beratung seiner Kunden und in seinen Analysen oft vollkommen neue Wege und führt Unternehmen so zu wirtschaftlichem Erfolg und neuer Unternehmenskultur.